CHICAGO

Author
Architekt DI Hans Peter Machné
Datum
1.4.2020
Lesedauer
15
Minuten
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Entwicklung

Chicago, jeder kennt den Namen und doch verschwindet diese Amerikanische Großstadt etwas hinter Namen wie New York, L.A. oder San Francisco. Ich hatte anläßlich eines Arbeitsaufenthaltes die Gelegenhheit in dieser Stadt am Michigan See, über 2 Monate zu leben und zu arbeiten, und einen etwas tiefer gehenden Einblick hinter die Klischees von denen Chicago überwuchert ist zu gewinnen.Die Struktur der „Windy City" ist um einiges komplizierter, als es uns aus Filmen oder Büchern bekannt ist. Die Oberfläche der „Rush hour", der „Yellow Cabs" oder der „Jazzclub" Klischees wird zwar in sämtlichen „Tourist spots" über Videofilme, Broschüren, oder sonstiges kräftig poliert, aber es gibt noch einige andere Chicagos. „Die Überlagerungen von neuem und alten Verkehrs- und Verbindungssystemen, bilden einen steten Prozeß von Erneuerungen, der auch den Städtebaulichen Kontext - wie kaum in einer anderen Stadt - prägt."1Steckt man erst mal selbst in der Kluft zwischen Arm und Reich ,Uptown und Slums, und bekommt man diese Spannungen selbst zu spüren, sieht man plötzlich wie sehr es unter der Oberfläche Amerikas brodelt. Unsichtbare Grenzen trennen hier weniger Schwarz und Weiß, als vielmehr Arm und Reich. Das Leben ist hart in einer Stadt wie dieser, und um zu überleben, muss man ganz genau wissen wohin man nicht gehen sollte.Trotz, oder vielleicht wegen,  aller Krankheiten der Amerikanischen Gesellschaft, die sich auch in der architektonischen Ausformung der Stadt zeigt, hinterläßt sie jedoch einen starken Eindruch und eine ungeheure Faszination auf den Besucher.Im folgender Arbeit möchte ich mich zunächst ein wenig auf die Geschichte Chicagos, die ja von außerodentlichem architektonischen Interesse geprägt ist, einlassen, um mich dann gezielt auf ein Bauwerk zu beziehen, das ein wenig die Gesellschaft und die Entwicklung Chicagos wiederspiegelt. Auch sind mir die beiden Türme der Marina City, als sehr starkes Sinnbild für diese Stadt in Erinnerung geblieben.     VorbemerkungenChicago machte einige harte aber auch gute Zeiten durch und befand sich in allen Krisenzeiten im Brennpunkt. Die Geschichte der Stadt is gekennzeichnet durch die ungehemmte Entfaltung von Neuem: Die „School of Chicago" von 1880 und 1890, der Art - Deco Stil von 1920-30 und das massive Auftreten der Moderne nach dem 2. Weltkrieg. Luis H. Sullivan, John W. Root und Ludwig Mies v.d. Rohe sind in dieser Stadt jedem bekannte Namen. Mit ihnen untrennbar verbunden sind Errungenschaften wie die des Stahlrahmens, Hochgeschwindigkeitsaufzüge oder die des „cutain - wall" Systems.F.L. Wright arbeitete hier ebenso wie Betrand Goldberg. Chicago hat ohne Zweifel viel an lebendiger Architekturgeschichte zu bieten, wenn auch die Übermacht Miesens oft zu groß scheint. Es bleibt allerdings der Eindruck als habe Chicago die Entwicklung der letzten Jahre , die mit Eisenmann, Tschumi , Koolhaas u.a. in NY, mit Ghery und Morphosis in L.A., stattgefunden hat, nicht mitgemacht. Ob dies ein Schaden ist, oder ob aus diesem Leerraum etwas Neues entstehen kann, werden wir sehen.     Die Lage der Stadt und die Kraft des OrtesDer Ort an dem der Chicago River in den Michigan Lake mündet, war den Indianern viele Generationen lang als „Chigagou" bekannt. Dies leitetsich von der  „wilden  Zwiebel" ab die dort wächst. Der Platz war alles andere als freundlich. Es war sumpfig und  der Chicago River floß zu langsam um ein Wasserrad zu bewegen, oder etwa den Schmutz in den See hinaus zu tragen.  Im Sommer war es heiß und feucht und im Winter eißkalt. Einzig die Lage am See und am Fluß war das ausschlaggebende für die Besiedlung. Chigagou war ein wichtiger Knotenpunkt im Wasserwegenetz.1779 wurde das 1. permanente Gebäude von Baptiste Point du Sable, ein Handeltreibender, errichtet. 1803 entstand Fort Dearborn, an das heute noch die Dearborn Street erinnert.1837 schließlich forderten die Einwohner Chicagos das Stadtrecht und die Staatsverwaltung ernannte Chicago zur Stadt.     Die VoraussetzungenUm 1830  entstand das Gitternetz das bis heute dominiert. Es entstand der Prototyp einer neuen Stadt. „Nicht die Stadt der Plätze und Kathedralen, nicht die Wehrstadt mit Mauer und Graben , sondern die Stadt als Prozeß, die Stadt als andauernde Veränderung im Rahmen einfacher vorgegebener Spielregeln. Die Basis dieser Spielregeln bildet das orthogonale Plangitter. Sein Einfluß auf das Aussehen der Stadt und die Haltung ihrer Architekten ist nicht zu übersehen. Das Gitter verlangt Genauigkeit und Disziplin. Das ist die Einschränkung, die es mit sich bringt. Ansonsten stellt es ein offenes Feld dar. Abgesehen von natürlichen Gegebenheiten (Chicago River, Küstenlinie), die es unterbrechen, ist eine Stelle so gut wie die andere. Zusammenhang und Ordnung, aber auch eine große Freiheit, das sind seine Vorgaben. Kein Gesamtbild, kein geschlossenes Ganzes bremst die Entwicklung. Innerhalb dieses Systems ist alles erlaubt und möglich. Wachstum , Richtungswechsel und Zusammenbruch, das Niemandsland ebenso wie der Boulevard. Gefragt sind Erfindungsgeist und Initiative, breite Schultern und Ellbogen."Rem Koolhaas beschreibt die Voraussetzungen die in NY  für das Städtische entstehen, aber durchaus auch auf die Entwicklung Chicagos zutreffen, in seinem Buch Delirious New York so: „ The Grids two dimensional diszipline also creates undreamt of freedom for three dimensional anarchy. The grid defines a new balance between control and de-control in which the city can be at the same time ordered and fluid, a metropolis of rigid chaos. ....Manhatten (gleiches gilt für Chicago, Anm. d. Verf.)  is forever immunized against any totalitarian intervention. In the single block- the largest possible area, that can fall under architectural control - it developes a maximum unit of URBANISTIC EGO." 1Das heißt diese Stadt entsteht nicht von oben determiniert, sondern erhält ihr Städtisches aus den kleinen Einheiten, den Blocks, heraus. Sie will und muß sich nicht, wie z.B.: die europäischen Metropolen ,als Stadt nach außen hin präsentieren, sondern entsteht aus ihren inneren Vorgängen. Die Hauptantriebsfeder des städtischen Prozesses bildete die Wirtschaft und vorallem das Geld. Die Geschichte des Ortes und seine Topographie wurde durch den rationalen Raster negiert und die Stadt existiert nach wie vor im Jetzt.Weiters existiert ein Eisenbahnnetz, eine Hochbahn und zum Schluß wurde ein Autobahnnetzdarüber gelegt. Diese verschieden Schichten sind aber nicht unbedingt auf einander abgestimmt. So kommt es zu vielfältigen Durchdringungen und Überschneidungen, zu zwei und mehrstöckigen Straßen und Brücken. Der Raster und das Verkehrsystem bilden wichtige Randbedingungen für die  „Selbstorganisation" des Städtischen. Darüber aber später.      Technische Entwicklungen1948 wurde der Michigan - Illinois Kanal fertig und damit gab es eine Wasserstraße von Buffalo,NY bis New Orleans. Eisenbahnlinien wurden gebaut und um 1850 war Chicago endgültig eine der wichtigsten Drehscheiben den USA. Um 1870 hatte Chicago ca. 300.000 Einwohner und um diese Bevölkerungsexplosion wohnungstechnisch in den Griff zu bekommen , bediente man sich einer schnellen, einfachen und billigen Methode um Häuser herzustellen. 1833 wurde das „Ballon - Frame" System erfunden, welches es in der Folge ermöglichte die Wohnbedürfnisse zu Befriedigen. Häuser wurden nicht mehr aus Pfosten und Balken gezimmert, sondern Wände und Decken wurden aus genormten Brettern gefertigt, und dann  zusammengestellt. Diese Methode findet man bis Heute vor allem im amerikanischen Einfamilienhausbau.Die Stadt lag aber noch im Sumpf un nahezu auf Seespiegel Niveau. Erlebt man die Stadt heute so ist das kaum Vorstellbar, man befindet sich auf Straßenniveau zwei Stockwerke über dem Fluß, und die Stadt steht mit dem Rücken zum See. Der Vielspurige „Lake Shore Drive", übrigens Teil der „Route 66", schneidet das Zentrum vom Ufer fast vollständig ab.Damals verwandelte sich die Stadt nach jedem Regen in ein Schlammloch. 1855 beschloß man daher sämtliche Gebäude um ein Stockwerk anzuheben. In den folgenden 10 Jahren wurde das Straßenniveau um 1,8-3m erhöht, die Eingänge der Häuser angepasst, und eine Kanalisation gebaut. Heute fällt einem das zunächst gar nicht auf. Straßen existieren jedoch zwei-dreimal, und es sind keine Tunnel; die obersten Ebenen sind auf Stahlträger aufgebaut. So entseht eine künstliche Hochebene, und darunter befindet sich ein eigenständiges Erschließungsnetz. Dieses wird von den Einwohnern vor allem im Winter, wenn es oben zu kalt ist, benutzt.Der Raster füllte sich nun zusehends mit Menschen und Gebäuden. Bald war die Stadt so dicht, das die Menschen Erhohlungsbereiche brauchten. 1860 entstand eine Bewegung die das errichten von Parks für jedes Quartier forderten. Es entstsnd das Parksystem Chicagos. Alle Parks waren mit Boulevards verbunden und an das Verkehrsystem angeschlossen.Ein anderes Relikt der technischen Errungenschaften ist der Water Tower. Um 1850 war das Wasser knapp,denn der Fluß und der See waren Küstennähe verschmutzt von den Abwässern. 1866 wurde nun eine drei Kilometer lange Wasserzuleitung in den See hinein gebaut. Als Auffang- und Pumpstation diente der Water Tower. Er steht noch Heute mitten in dem modernen Stadtumfeld, als Zeuge der Zeit vor dem großen Feuer.     Die KatastropheAm 8. Oktober 1871 löste ein Stallbrand im Süden der Stadt eine Katastrophe  aus. Ein starker Wind blies die Flammen über das ganze Zentrum und rund ein drittel der Stadt wurde in Schutt und Asche gelegt. 17450 Gebäude gingen in Flammen auf und 90.000 Menschen waren obdachlos.Doch etwas was Chicago immer auszeichnete und auch heute noch zu spüren ist, obgleich die heutigen Probleme schwieriger zu lösen sind als die damaligen, ist der Optimismus. Die Industieanlagen waren nur zu einem Teil zerstört und so strömten weiterhin Menschen in die Stadt. Mit ihnen kamen Ingineure und Architekten, die hier ein freies Feld vorfanden und alle beseelt waren von Wunsch des Wiederaufbaues.     Die erste Chicagoer SchuleArchitekten wie W.Jenny Sullivan und Adler übersetzten das hrizontale Gitter in die dritte Dimension, den Chicago Frame aus Stahl. Dieser ermölichte es die ersten Hochhäuser zu bauen. Die äußere, klassizistische Dekoration blieb diesen erspart, Sullivan kreierte den berühmten Satz: „Form follows function". Es finden sich noch viele Beispiele dieser Architektur in Chicago, zu den beeindruckensten zählt wohl das „Auditorium" von Sullivan/Adler.10 Jahre nach diesem historischen Aufbruch in Richtung Moderne findet in Chicago eine Weltaustellung (1893) statt, die mit ihrer Huldigung für den Historismus das Erreichte zunichte machen zu schien. Sullivan sagte damals voraus, daß der Schaden den diese Austellung anrichtete noch 50 Jahre später zu spüren sein wird. Der Tribune Tower(1924) und das Wrigley Building(1921) stehen noch als Zeuge da. Auch wenn sie uns aus heutiger Sicht gar nicht so schlecht vorkommen (wahrscheinlich vorallem wegen der städtebaulich geschickten Plazierung am Chicago River) sind sie doch irgendwie ein Rückschritt. Heute jedoch gehören sie so zu Chicago wie der Sears Tower oder das Hancock - Center.    Die weißen GötterKurz  vor dem 2. Weltkrieg kommen sehr viele europäische Architekten in die USA. Doch schon vorher waren die Amerikaner, allen voran Phillip Johnson, begeistert von der Idee des Bauhauses. Die dortige Architekturauffassung wurde beinahe schon zum Dogma für die Amerikaner. Erstmals sah man wie Architektur als Selbstzweck gemacht wurde. Tom Wolfe beschreibt diese Übernahme Amerikas durch die Moderne aus Europa in seinem Buch „Mit dem Bauhaus leben" sehr zynisch...............................In Chicago war Mies v.d. Rohe der Tonangebende. Er erbaute das Illinois Institute of Technic und bekahm auch gleich die Lehrkanzel für Architektur. Chicagos Architektur wurde darauf hin weitgehend von seinen Dogmen beherrscht. F.L. Wright und seine Werke schienen plötzlich vergessen. Tom Wolfe berichtet von Begegnungen Wrights mit den Modernen:..........................Der Weg fürte bis zu den noch bis heute spürbaren Entwurfslösungen von Haut, Skelett und den offenlegen der Strukturen.Geht man heute durch Chicago sieht man die „gläserne Schachtel" an jeder Ecke. Durch die immer und immer wieder kehrende ähnliche Form und die gleichen Materialien kann man sich oft einer Langeweile nicht erwehren. Beeindruckend jedoch ist die Höhe der Bauwerke.Alles wurde hier in die Höhe getrieben. Die „vertikale Stadt"  wurde als Metapher immer wieder bemüht. Die beiden Türme der Marina City(1960-64) von Bertrand Goldberg sind Ausdruck dafür. Diese  zwei runden  „Corncobs" wie sie genannt werden, stechen aus ihrer Umgebung drastisch heraus. Hier spürt man, daß eine Vision dahinter steckt. Dieses Konzept wird aber noch ausführlich besprochen.     PostmoderneWegen der Dominanz der Schachtel und der Vorherrschaft der Technik im Alltag schlug 1960/70 das Pendel in die andere Richtung. Die Postmoderne hielt Einzug in Chicago und beinahe alle machten mit. In Chicago sind einige dieser Postmodernen „Werke" zu bewundern. Wenn ich hier von der Postmoderne spreche, so meine ich damit nicht den philosophischen Hintergrund, sondern die oberflächliche architektonische Auswirkung. 1994 noch wurde die die neue Stadtbibliothek in Chicago eröffnet. Ein Bau aus Beton verkleidet mit Granit und übersäht mit Säulen und historischen Zitaten aus Plastik, Gips und Holzfurnier. In diesem Kontext wurde auch das „Hard Rock Cafe´" von Stanley Tigerman erbaut.    Resüme´Das ursprüngliche Schachbrettmuster ist also sehr vielschichtig geworden. Alles ist möglich darin und brav folgte man in Chicago den Moden. Zur Zeit aber scheint es still zu sein in der Stadt. Es fehlt das Geld. Das Geld war immer einer der Wichtigsten Faktoren für die Entwicklung. Gerade in Chicago wechselten die Bereiche wo Geld vorhanden war, und damit auch Bauwerke oft. So zum Beispiel liegt die Prarie Avenue in den heutigen Slums, früher aber war es das Zentrum des Geldes, wovon die Gebäude heute noch berichten. Innerhalb des Rasters hat es oft Bewegungen und Umschichtungen gegeben.Chicago ist aber auch die Stadt der Superlative. Dort steht heute das höchste Gebäude der Welt, der Sears Tower von Skidmore, Owings and Merril. Das Hancock - Center von den selben Architekten beeindrucht nach wie vor durch seine Bauweise.Diese Stadt ist nach wie vor im werden, wenn auch zur Zeit eine Stockung vorhanden ist. Dieses Werden erzeugt Energie die man als Besucher, aber auch als Einwohner spüren kann. 2. TeilDas Leben Vorbemerkung In diesem Teil werde ich versuchen das Leben der Menschen und das städtische Chicagos einigermaßen darzustellen. Um die Lebensweise zu verdeutlichen verwende ich Zitate aus Tom Wolfes Buch  „Fegefeuer der Eitelkeiten". Diese spielt zwar in New In diesem Teil werde ich versuchen das Leben der Menschen und das städtische Chicagos einigermaßen darzustellen. Um die Lebensweise zu verdeutlichen verwende ich Zitate aus Tom Wolfes Buch  „Fegefeuer der Eitelkeiten". Diese spielt zwar in New In diesem Teil werde ich versuchen das Leben der Menschen und das städtische Chicagos einigermaßen darzustellen. Um die Lebensweise zu verdeutlichen verwende ich Zitate aus Tom Wolfes Buch  „Fegefeuer der Eitelkeiten". Diese spielt zwar in New York, aber es beschreibt die amerikanische Gesellschaft sehr gut, und die Zustände der Inselbildung zwischen ethnischen Gruppen, die Bewegungsstrukturen de Menschen, treffen auf Chicago so wie ich es erlebt habe zu.         Ethnische Viertel Trotz des verbindenden und zunächst wertfreien Rasters sehen wir heute in Chicago wie in einigen anderen amerikanischen Metropolen stärkere Inselbildungen und Trennungen im gesellschaftlichem Zusammenleben als in den architektonisch differenzierteren Städten Europas. Hier trennt nicht die Architektur sondern das soziale Milieu. Es bildeten sich ethnische Viertel heraus unter denen kaum ein Austausch stattfindet. In einer Szene aus Wolfes Buch wird das deutlich: „Plötzlich wurde Sherman sich einer Gestalt bewußt, die auf dem Bürgersteig in den nassen schwarzen Schatten der Stadthäuser auf ihn zukam. (...) Es war diese tiefe Unruhe, die in der Schädelbasis eines jeden haust, der an der Park Avenue südlich der Sechsundneunzigsten Straße wohnt(eine der unsichtbaren Grenzen in NY, in Chicago würde die 20 Straße eine solche Trennlinie sein. Anm.d.Verf.) - ein schwarzer Jugendlicher, hochgewachsen, schlaksig, mit weißen Turnschuhen.(...) Sherman starrte ihn an. Na, soll er doch kommen! Ich rühre mich nicht von der Stelle. Das hier ist mein Territorium. Ich weiche vor keinem Straßengangster zur Seite." 1 Die verschiedenen Gruppen sehen ihre Viertel also als Gebiet ihrer Vorrechte an. Kein „Anderer" hat hier das Recht etwas zu bestimmen. Das geht so weit, daß Sherman, der Protagonist des Buches (er gehört zur Reichen Schicht)  in seiner Angst überfallen zu werden, auf dieses Vorrecht vertraut und nicht zur Seite weicht.           Das Geld und der Rhythmus Eine Stadt wie Chicago wird selbst von seinen Bewohnern nur fragmentarisch wahrgenommen und erlebt. Der Zusammenhalt  und die Motivation zur Großstadt bildet das Geld. Als einziges materielles Objekt ist es nur dem Dollarschein möglich die inneren Grenzen der Stadt vollständig zu überwinden.Das Geld ermöglicht das Zusammenleben. Dort wo Geld Vorhanden ist, leben Schwarz und Weiß friedlich Tür an Tür. Der Rhythmus des Lebens und die städtische Ausformung werden durch den Geldfluß bestimmt. Das meiste Geld ist dort vorhanden wo der Geldaustausch am schnellsten funktioniert. Städtisch ablesbar und wirksam wird dieser schnelle Tausch des Dollars an den Hochhaustürmen des Zentrums, des sg. Loops. Diese Auswirkungen finden wir auch in der Schnelligkeit der Sprache, der Schnellebigkeit der Mode und der Hektik der Rush Hour auf den Straßen . Der Faktor Zeit spielt in der Metropole eine wesentliche Rolle. Bietet sich uns in Downtown ein Bild von „Stop and Go" Verkehr, dahinhastenden Menschenmassen, so ist das Leben im Süden der Stadt beispielsweise ganz anders strukturiert.  Wolfe beschreibt eine Szene vor Sozialwohnbauten: „Ebbe und Flut der Stadt, verursacht durch die Gezeiten menschlicher Arbeit, bewirkten nicht einmal ein Wellengekräusel vor den Poe Towers (sozialer Wohnbau in NY, dem entprechen die sg. Taylor Homes in Chicago, eine der gefährlichsten Gegenden der Stadt. Anm.d.Verf.), wo die Arbeitslosenrate mindestens fünfundsiebzig Prozent betrug. Um 16:15 Uhr ging es hier nicht lebhafter zu als mittags um zwölf. Kramer erspähte keine Menschenseele, bis auf eine kleine Schar Jungen, die an den Graffitis am Fuß der Häuser entlanghuschten. Die Graffitis sahen lustlos aus. Der rußigschwarze Backstein mit all seinen Mörtelrillen machte selbst die Spraydosen-Teenies mißmutig" 2 Allein der finanzielle Background ist ausschlaggebend dafür welchen sozialen Charakter das Viertel annimmt. Das heißt nicht die Architektur ist hier bestimmend, sondern das Geld, das die Bewohner für die Erhaltung ihrer Häuser und die Gestaltung ihrer unmittelbaren Umgebung (Straße) zur Verfügung haben. So kommt es zu den unsichtbaren Grenzen die nicht topographisch sondern finanziell bedingt sind. Die Übergänge sind nicht fließend sondern abrupt . So kann es passieren, daß man durch das Überschreiten einer Straße in einer vollkommen anderen Umgebung zu stehen kommt. „Das Straßenbild verändert sich plötzlich in ganz unerwarteter Weise" 3 Um den Stadtplan Chicagos lesen zu können, muß man diese Stadt mit ihren nicht materiellen Grenzen  und Vierteln genau kennen. In Chicago existiert Beispielsweise ein Universitätsviertel quasi als Insel mitten in einer sehr gefährlichen Umgebung. Die Universität beschäftigt eine eigene Polizeitruppe und diese schaffen es einen kleinen Bereich rund um den Campus einigermaßen sicher zu halten. Außerhalb dieser Straßenzüge, die man genau kennen sollte, (vorallem wenn es Dunkel wird) ist es nicht sehr ratsam sich aufzuhalten. Alle Bewohner  sind einem gnadenlosen, durch das Geld aufgezwungenen Zeit und Bewegungsrhythmus unterworfen. Die Zeit rast in den Bürohochhäusern während sie in den Slums stillzustehen scheint. Die Zeit ist zwar strukturiert (Arbeiten, Freizeit,...), sie ist aber doch sehr an den Ort gebunden. Die Bewegungsstrukturen und Geschwindigkeiten der verschiedenen gesellschaftlichen Schichten unterscheiden sich drastisch. Für den Chicago erlebenden Menschen sind diese Ströme aus Personen und Autos, das Ornament der sich bewegenden Masse, ein wesentlicher Bestandteil des städtischen Erscheinungsbildes.           Bewegung „Time is money" ,ist ein Spruch sein der aus den USA stammt. Die Grundstruktur der Wirtschaft ließe sich einteilen in drei Komponenten: Intelligenz, Kraft und Schnelligkeit. Diese Schnelligkeit ist für die finanzstärkste Schicht in Chicago sehr wichtig. Sie bewegt sich innerhalb des daher konzentrierten Wirtschaftszentrums möglichst schnell. Dabei betritt die Oberschicht den Straßenraum sehr selten. Sie verläßt so wie Sherman McCoy sein Apartmenthaus, welches von einem Doorman bewacht wird unter einem Baldachin der die Verlängerung des Innenraumes darstellt, um in den nächsten Innenraum, den des Autos, zu wechseln. Auf dem selben Weg gelangt er vom Auto ins Büro. Chicago ist sicherlich etwas ruhiger als NY, trotzem glaube ich trifft auch folgende Szene zu. Als Sherman und Judie (seine Frau) zu einer Party eingeladen sind mieten sie sich einen Wagen: „ Sie wohnten zwar nur sechs Blocks von den Bavardages entfernt, aber zu Fuß zu gehen kam nicht in Frage. (...) ...was würden sie nach der Party tun? Wie konnten sie aus dem Haus der Bavardages treten und sich vor aller Welt, tout le monde, dabei ertappen lassen, wie sie auf der Straße standen, die McCoys, dieses zielstrebige Paar, die Hände in der Luft und tapfer verzweifelt, bemitleidenswert versuchten, ein Taxi anzuhalten." 4 Für den Beobachter ist diese Oberschicht kaum sichtbar. Sie isoliert sich räumlich und gesellschaftlich. Richard Sennet beschreibt zwar eine mittelalterliche Situation wenn er sinngemäß schreibt, daß „die Mitte Zuflucht bot, von der Gewalttätigkeit der Stadt, denn dort regierte das Wort Gottes" , es erlangt jedoch Aktualität erkennt man die Mitte als Innenraum (geschützter Raum) und ersetzt man das Wort Gott durch Geld. Was die Stadt in Bewegung zeigt ist die Mittelschicht. Teil dieser Mittelschichte war auch ich, in meinem täglichem Weg ins Büro. Es sind dies durchwegs Menschen, die etwas auserhalb des Zentrum wohnen, und sich keinen Parkplatz Downtown, die sehr teuer und rar sin leisen können. Sie bewegen sich schnell und hektisch auf den Straßen und in den U-Bahnen auf dem Weg vom und ins Büro. Die Innenräume der mittleren Schichte reduzieren sich auf die Wohnungs- und Haustüren. Sie besitzen jedoch meist einen kleinen Garten sofern sie nicht im Zentrum in einer Wohnung wohnen.  In ihrem Bewegungsrhythmus sind sie gezwungen eine kurze Strecke  auf die Straße zu verlegen. Das passiert aber oft nur in de Rush hour oder zu Mittag beim Essen des Lunches, der meist in einem Supermarkt gekauft wird. So sieht man dann ganze Heerscharen von „Büroleuten" in den Parks sitzen und essen. Sie sind es was das Leben in der Stadt ausmachen. Abends wird kaum flanierd, un wenn nur in geschützen Bereichen (bewachte Parks,...). Die ärmste Schicht ist in ihren Innenräumen so reduziert, das sie ihren Lebensraum auf die Firescapes und die Straße verlegen müssen. Dort suchen sie auch ihre sozialen Kontakte. Hier kommt es auch zu Gruppenbildungen, um innerhalb des wirtschaftlichen und sozialen Wettbewerbs ihre Position zu stärken. Diese Schicht läßt sich nicht aus dem städtischen Gefüge oder der amerikanischen Gesellschaft ignorieren. Ihre Präsenz in der Musik und der Mode wirkt auch auf die Oberschicht zurück. (Rap,Streetwear)             Identifikationsrituale Kleidung und Haltung ist in den USA als Zugehörigkeitsmerkmal gesellschaftlicher Gruppen für Arm und Reich enorm wichtig.( Sneakers und Pimp-roll, englischer Anzug und Yale-Kinn) Dazu drei Zitate aus Tom Wolfes Buch um grob die drei Schichten  aus NY beschreiben, welche man aber auch in Chicago ausmachen kann: „ An diesem Morgen war er ein ernster Mensch, der die Park Avenue und  Wall Street repräsentierte. Er trug einen blaugrauen mattglänzenden Kammgarnanzug, in England für 1800 $ nach Maß angefertigt, einreihig auf zwei Knöpfe, mit gewöhnlichen stumpfen Revers. In der Wall Street galten Zweireiher und spitze Revers als ein bißchen zu grell, als ein bißchen zu stark nach Garmet District riechend. (...) Er straffte die Schultern und reckte seine lange Nase und das wundervolle (Yale- Anm.d.Verf.) Kinn in die Höhe" 5 „Alle drei hatten Aktenkoffer bei sich, und zwei von ihnen trugen dunkle Anzüge und blaßgelbe Krawatten mit kleinem Druckmuster. Diese blaßgelben Krawatten waren die Insignien der Arbeitsbienen in der Geschäftswelt geworden..." 6 „In den Wagen kamen drei junge Burschen, schwarz, fünfzehn oder sechzehn Jahre alt, in Baseballschuhen mit ellenlangen Senkeln, die aufgebunden, aber genau parallel durch die Ösen gezogen waren, und schwarzen Thermojacken. (...) Sie bewegten sich in einer wiegenden Gangart, die als pimp roll, als Luden-walzer, bekannt war..." 7 Dieses Wechselspiel von Reichen und selbstbewußten Armen ist ein wesentlicher Faktor im Städtischen von Chicago. Wirkliche Begegnungen finden nur sehr begrenzt in Ausnahmesituationen (große Veranstaltungen, Konzerte,..) statt. Dieses Stadtbild ergab sich für mich und steht sehr im Gegensatz zu den ganzen Imagebildern die und via TV erzählt werden. Die Menschen mit denen ich engen Kontakt hatte scheinen die großen Probleme die dort aber auch in anderen Städten der USA herrschen größtenteils zu verdrängen. Chicago ist natürlich auch die Stadt des Blues und Jazz aber diese Eindrücke kennt jeder.     Bibliographie Teil 1: 1) Koolhaas Rem, Delirious New York, S. 20 Teil 2: 1) Wolfe Tom, Fegefeuer der Eitelkeiten,  München:Knaur 1990, S. 27 2) Wolfe Tom, S.370 3) Sennet Richard, Civitas, S.164 4) Wolfe Tom, S. 425 5) Wolfe, Tom S.66 6) Wolfe Tom, S. 423 7) Wolfe Tom, S. 51